"Möge sich erfüllen, was begonnen wurde.
Mögen sie daran glauben und ihre Leidenschaften verlachen.
Denn das, was sie Leidenschaften nennen, ist in Wahrheit nicht seelische Kraft, sondern die Reibung zwischen der Seele und der äußeren Welt.
Und vor allem mögen sie an sich selbst glauben und hilflos werden wie Kinder."
(Der Stalker)
Tarkowskij über seinen Film: ” (...) Hiervon handelt unser »Stalker«: Dessen Hauptfigur erlebt Minuten der Verzweiflung. Er schwankt in seinem Glauben, spürt dann aber doch immer wieder seine Berufung zum Dienst an den Menschen, die ihre Hoffnungen und Illusionen verloren haben. Äußerst wichtig war es für mich, daß das Drehbuch hier die Einheit von Zeit, Raum und Handlungsort wahrte. Während es mir im »Spiegel« noch interessant schien, Dokumentarmaterial, Träume, Erscheinungen, Hoffnungen, Ahnungen und Erinnerungen, also das ganze Chaos der Umstände zu montieren, die den Helden dieses Filmes mit unausweichlichen Seinsfragen konfrontierten, sollte es im »Stalker« zwischen den einzelnen Montagestücken keinerlei Zeitsprünge geben. Ich wollte, daß man den Zeitablauf hier innerhalb einer Einstellung ausmachen konnte, daß die Montage hier also nichts weiter als die Fortsetzung der Handlung markiert. Die Einstellung sollte also weder Zeitballast, noch die Funktion einer dramaturgischen Materialorganisation haben. Alles sollte so wirken, als hätte ich den gesamten Film nur in einer einzigen Einstellung gedreht. Eine solche einfache, ja asketische Methode schien mir große Möglichkeiten zu bieten. Ich warf also alles aus dem Drehbuch hinaus, was mich daran gehindert hätte, mit einem Minimum an äußeren Effekten auszukommen. Ich strebte hier nach einer einfachen und bescheidenen Architektur der filmischen Gesamtstruktur. Ich wollte den Zuschauer dabei noch mehr davon überzeugen, daß das Kino als ein Instrument der Kunst eigene Möglichkeiten hat, die keinesfalls geringer als die der Prosa sind. Ich wollte ihm die Fähigkeit des Kinos vorfuhren, das Leben gleichsam ohne sichtliche, grobe Verletzung seines realen Ablaufs zu beobachten. Denn hierin liegt für mich das tatsächliche “poetische” Wesen der Filmkunst. Eine gewisse Gefahr sah ich darin, daß diese extreme Vereinfachung der Form geziert und manieriert wirken könnte. Dem versuchte ich dadurch aus dem Weg zu gehen, daß ich der Einstellung all das Nebulöse und Unbestimmte nahm, das man gemeinhin die »poetische Atmosphäre« eines Filmes nennt. Normalerweise wird eine solche Atmosphäre mit viel Sorgfalt erzeugt. Doch für mich stand fest, daß ich mich um sie überhaupt nicht zu kümmern hatte. Denn sie kommt bei der Realisierung der Hauptaufgabe eines Filmregisseurs gleichsam vor selbst mit auf. Je deutlicher nun diese Hauptaufgabe, also der Sinn dessen, was gezeigt werden soll, formuliert ist, um so bedeutsamer tritt hierbei auch die Atmosphäre hervor. Und auf diese Grundnote beginnen dann auch die Dinge, die Landschaft und die Intonation der Schauspieler zu antworten. Alles geht dann in Zusammenhänge, nichts bleibt mehr zufällig. Alles greift ineinander und überschneidet sich, so daß sich die Atmosphäre als ein Resultat, als eine Folge der möglich gewordenenen Konzentration auf das Wichtigste einstellt. Eine Atmosphäre als solche schaffen zu wollen, wäre dagegen ein ausgesprochen widersinniges Unternehmen! Aus diesem Grunde blieb übrigens auch immer die Malerei der Impressionisten frei, die sich ja zur Aufgabe gemacht hatten, das Vorüberfliegende, den Augenblick als solchen darzustellen. Im »Stalker« wo ich mich auf das Wesentliche zu konzentrieren versuchte, kam Atmosphäre dagegen gleichsam »nebenbei« auf. Und, wie mir scheint, wirkt sie sogar erheblich aktiver und emotional ansteckender als in meinen vorangegangenen Filmen. Welches Hauptthema sollte in “Stalker” anklingen ? Ganz allgemein gesagt, worin eigentlich der Wert eines Menschen besteht und was das nur für ein Mensch sei, der unter dem Fehlen seiner Würde leidet. Ich möchte daran erinnern, daß das Ziel der Menschen, die sich in diesem Film auf ihre Reise in die »Zone« machen, ein Zimmer ist, in dem sich ihre geheimsten Wünsche erfüllen sollen. Und während sie nun auf dem Weg dorthin das seltsame Gelände der »Zone« durchqueren, erzählt der Stalker dem Schriftsteller und dem Gelehrten irgendwann einmal die tatsächlich geschehene oder legendäre Geschichte von Dikoobras, der an diesen Ort der Sehnsucht mit der Bitte kam, seinen Bruder, dessen Tod er verschuldet hatte, wieder ins Leben zurückkehren zu lassen. Als dann aber Dikoobras aus dem »Zimmer« zu sich nach Hause zurückkehrte, da wurde er dort nur unsäglich reich. Die »Zone« hatte ihm nämlich seinen wirklichen, geheimsten Wunsch erfüllt. Also nicht das, was er sich zu wünschen bemühte. Und da erhängte sich Dikoobras. Als dann unsere Helden an ihr Ziel gelangen, nachdem sie viel erlebt und viel über sich nachgedacht haben, da können sie sich nicht mehr dazu entschließen, die Grenze dieses Zimmers, zu dem sie sich unter Lebensgefahr aufgemacht hatten, auch wirklich zu überschreiten. Sie sind sich plötzlich bewußt geworden, daß ihr innerer moralischer Zustand letztlich geradezu tragisch unvollkommen war. Sie haben in sich nicht genügend geistige Kräfte gefunden, um an sich selbst zu glauben. Ihre Kraft reichte lediglich dazu, einen Blick in sich selbst zu werfen. Und der ließ sie zutiefst erschrecken! Als Stalkers Frau in die Stehkneipe kommt, in der die drei eine Pause machen, sehen sich der Schriftsteller und der Wissenschaftler mit einem für sie rätselhaften und unverständlichen Phänomen konfrontiert: Vor ihnen steht eine Frau, der die Lebensweise ihres Mannes und die Geburt eines behinderten Kindes unendlich viel Leid brachten, die ihren Mann aber dennoch hingebungsvoll und selbstlos wie in ihrer frühsten Jugend liebt. Diese Liebe und Ergebenheit ist das letzte Wunder, das dem Unglauben, Zynismus und der Leere der modernen Welt entgegengesetzt werden kann. Und Opfer dieser modernen Welt sind ja schließlich auch der Schriftsteller und der Gelehrte geworden. Im »Stalker« verspürte ich vielleicht zum erstenmal die Notwendigkeit, jenen wichtigsten, positiven Wert, von dem der Mensch und seine Seele lebt, klar und unzweideutig herauszuarbeiten. »Solaris« handelt von Menschen, die sich im Kosmos verirrt haben und nun, ob sie es wollen oder nicht, sich noch ein weiteres Wissen aneignen müssen. Dieses dem Menschen hier gleichsam von außen her auferlegte Erkenntnisstreben ist schon auf seine Art recht dramatisch, weil es von ständiger Unruhe und Entbehrungen, von Schmerz und Enttäuschung begleitet wird, denn die letzte Wahrheit ist unerreichbar. Hinzu kommt noch, daß dem Menschen auch ein Gewissen verliehen wurde, daß ihn zu quälen beginnt, wenn sein Handeln in Widerspruch zu den Moralgesetzen gerät. Auch die Existenz des Gewissens ist demnach in einem gewissen Sinne etwas Tragisches. Selbst im »Spiegel«, der von tiefen, ewigen, nicht nur kurz aufflackernden Gefühlen handelt, verwandeln sich diese Bindungen in ein Unverständnis und Unvermögen seines Helden, der nicht begreifen kann, warum er um dieser Gefühle willen, eben dieser Liebe und Bindung willen, ewig leiden muß. Im »Stalker« spreche ich es offen und konsequent aus, daß die menschliche Liebe jenes Wunder ist, das jedwedem trockenen Theoretisieren über die Hoffnungslosigkeit unserer Welt erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Nur haben wir auch die Liebe verlernt ... Im »Stalker« reflektiert der Schriftsteller über die Langeweile des Lebens in einer gesetzmäßigen Welt, in der sogar der Zufall das Resultat einer uns bislang nur noch verborgenen Gesetzmäßigkeit ist. Vermutlich gefällt es dem Schriftsteller deshalb auch in der »Zone«, wo er auf Unbekanntes stößt, daß ihn zu überraschen und zu erstaunen vermag. In Wirklichkeit aber setzt ihn diese einfache Frau in ihrer Treue und ihren menschlichen Werten in Erstaunen. Ordnet sich denn wirklich noch alles der Logik unter? Kann man dann tatsächlich noch alles in seine Bestandteile zerlegen und berechnen? In »Stalker« und »Solaris« ging es mir also ganz sicher nicht um Science-Fiction. Dennoch gab es in »Solaris« leider noch viel zu viele Sci-Fi-Attribute, die hier vom Eigentlichen ablenkten. Die Weltraumschiffe und -Stationen, die Stanislaw Lerns Roman vorsah, waren sicher recht interessant gemacht. Doch meiner heutigen Ansicht nach wäre die Idee dieses Filmes erheblich deutlicher herausgekommen, wenn wir auf all das völlig verzichtet hätten. Die »Science Fiction« bildete im »Stalker« sozusagen nur eine taktische Ausgangssituation, die den für uns zentralen moralischen Konflikt plastischer herauszubringen half. Doch in all dem, was hier mit den Filmhelden geschieht, gibt es keinerlei »Science Fiction«. Der Film wurde so gemacht, daß der Zuschauer das Gefühl haben konnte, alles würde sich heute abspielen und die »Zone« wäre gleich nebenan. Häufig wurde ich gefragt, was denn die »Zone« nun eigentlich symbolisiere, woran sich dann auch gleich die unsinnigsten Vermutungen anschlössen. Derlei Fragen und Mutmaßungen versetzen mich regelrecht in Verzweiflung und Raserei. In keinem meiner Filme wird etwas symbolisiert! Die »Zone« ist einfach die »Zone«. Sie ist das Leben, durch das der Mensch hindurch muß, wobei er entweder zugrunde geht oder durchhält. Und ob er dies nun durchhält, das hängt allein von seinem Selbstwertgefühl ab, von seiner Fähigkeit, das Wesentliche vom Nebensächlichen zu unterscheiden. Ich sehe es als meine Pflicht an, Nachdenken zu erregen über das spezifisch Menschliche und Ewige, das in jedem von uns lebt. Doch dieses Ewige und Wesentliche wird von dem Menschen immer wieder ignoriert, obwohl er doch sein Schicksal in den eigenen Händen hält. Er jagt lieber trügerischen Idolen nach. Doch letztendlich bleibt von all dem nur noch jenes ganz einfache Elementarteilchen, mit dem der Mensch in seiner Existenz rechnen kann - die Fähigkeit zur Liebe. Und dieses Elementarteilchen kann in seiner Seele zur lebensentscheidenden Position werden, zu einer Sinngebung seiner Existenz. Andrej Tarkowski
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