Donnerstag, 23. September 2010

E-Book Stanislaw Lem - Der Futurologische Kongress

Bild: Ari Folman's The Congress

Auszüge:
Der Botschafter der USA kam persönlich
und hielt eine kurze Ansprache über die Notwendigkeit internationalen
Zusammenwirkens; allerdings standen rund um den Redner sechs
breitschultrige Zivilisten, die uns aufs Korn nahmen. Ich gestehe, daß
mich dies ein wenig verstörte, zumal da sich neben mir ein dunkelhäu-
tiger indischer Delegierter in Anbetracht seines Schnupfens schneu-
zen wollte und nach dem Tuch in die Tasche langte. Der Pressespre-
cher der Futurologischen Gesellschaft versicherte mir nachher, die
angewandten Mittel seien unerläßlich und menschenfreundlich gewe-
sen. Die Bedeckung führe ausschließlich großkalibrige Waffen von
geringer Durchschlagskraft, genau wie die Wachen an Bord der Lini-
enflugzeuge. Demnach könne kein Außenstehender geschädigt wer-
den, im Gegensatz zu früher, wo ein Geschoß nach Erlegung des
Attentäters oft noch fünf bis sechs harmlose Sterbliche durchbohrt
habe. Ein Mensch, der unter konzentriertem Beschüß vor deinen Fü-
ßen zusammensackt, ist nichtsdestoweniger kein erfreulicher Anblick,
selbst dann nicht, wenn es sich um ein simples Mißverständnis han-
delt, das den Austausch diplomatischer Entschuldigungsnoten nach
sich zieht.
Doch statt auf das Sachgebiet menschenfreundlicher Ballistik abzu-
schweifen, sollte ich lieber erklären, wieso ich die Konferenzmateriali-
en während des ganzen Tages nicht durchblättern konnte. Ich will von
der üblen Einzelheit absehen, daß ich rasch das blutige Hemd zu
wechseln hatte; gegen meine Gewohnheit frühstückte ich dann im
Hotelbuffet. Morgens esse ich immer weiche Eier, und in keinem Hotel
der Erde können sie ans Bett serviert werden, ohne daß sie samt den
Dottern eklig gerinnen. Dies ergibt sich selbstredend aus den stetig
zunehmenden Ausmaßen der Hauptstadthotels. Wenn anderthalb
Meilen die Kochküche vom Zimmer trennen, dann rettet nichts die
Dotter vor dem Gerinnen.

1.9.2039. Ein unerquickliches Erlebnis. Heute nachmittag schaltete ich
den Kunstdinger ab und wollte mich umziehen, weil ich mit Aileen
verabredet war. Doch anstatt wie das restliche Dingbild zu verschwin-
den, blieb ein zwei Meter langer Kerl zurück, der mir von Anfang an
nicht recht ins dargebotene Dingspiel (»Erbtanzes Schlafblattern«)
gepaßt hatte, halb Weidenbaum und halb Athlet, mit knorriger, verbo-
gener, bräunlich blaßgrün getönter Fresse. Er näherte sich meinem
Lehnstuhl, nahm die Blumen vom Tisch, die ich für Aileen vorbereitet
hatte, und zerquetschte sie alle auf meinem Kopf. Ich war so entgei-
stert, daß ich keinerlei Gegenwehr versuchte. Der Kerl schlug die
Vase entzwei, verschüttete das Wasser, aß eine halbe Schachtel
Käsburger, streute den Rest auf den Teppich, trampelte darauf herum,
blähte sich, leuchtete auf und zerstob wie ein Feuerwerk in einen Re-
gen von Funken, die in meine ausgebreiteten Hemden zahlreiche
Löcher brannten. Mit blaugeschlagenen Augen und zerschundenem
Gesicht erschien ich trotz allem zum Stelldichein. Aileen wußte gleich
Bescheid. »Um Himmels willen« - rief sie, als sie mich erblickte - »du
hast einen Interferenten gehabt!«

...viel Spaß beim Lesen

1 Kommentar:

ginsterburg hat gesagt…

das ist ein buch aus meinen kinder und jugendtagen! die sterntagebücher des ion tychi, solaris etc. ich hab es alles verschlungen und nochmal verschlungen. der gute lem hat es einfach drauf!!!

ja - viel spaß beim lesen
gruß aus der burg
stefan